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SPURENSUCHE

Ursprünglich ging es nur darum, ein paar junge Tschetscheninnen für eine Schreibwerkstatt zu gewinnen. Die darüber schreiben, wie das Leben so ist. Oder nicht ist. Sein könnte. Vielleicht. Hier oder woanders. Jetzt oder in fünf, sieben, zwanzig, dreihundert Jahren, nie.

Klingt doch eigentlich ganz einfach: Ein paar Menschen finden, die Zeit und Lust haben, an einer Idee zu arbeiten.
Aber wie und wo findet man diese Menschen?
Wie entsteht eine Gruppe?
Wie entsteht Vertrauen innerhalb dieser Gruppe?
Von Peter bekomme ich zahlreiche Adressen, Namen und Telefonnummern.
Peter sagt: „Viel Spaß.“

Nein, sagt er nicht, aber „viel Erfolg“ und „es wird nicht einfach“ und für mich hört es sich an wie „viel Spaß“, mit so einem leicht schadenfrohen Unterton.
Ich fange an, die Telefonnummern und Namen abzuarbeiten und bekomme Neins und erst ab Mitte nächsten Monats und weitere Namen und Telefonnummern.
Wie lange wird es dauern, die Liste abzuarbeiten, die nicht kürzer zu werden scheint und wohin führt dieses Abarbeiten? Führt es mich zu jungen, tschetschenischen Frauen? Und werden diese dann Zeit und Lust haben, mit mir zu arbeiten?
Was haben die Teilnehmerinnen davon, wieso sollten sie da mitmachen?, hat Peter gefragt und diese Frage kriecht wie ein kleiner Wurm in meinem Kopf herum.
Wochenlanges Telefonieren und Sieben und Suchen stehen mir bevor, denke ich und ob das dafür steht. Nein, sagt Andrea. Nein, du brauchst eine Schlüsselperson und da fällt mir Indira ein. Indira die ich irgendwann vor drei, vier Jahren kennengelernt habe. Und ich kenne Magdalena, die mit Indira in Kontakt ist, also rufe ich sie an und bekomme Indiras Nummer. Ich rufe Indira an. Ich erreiche Indira. Indira klingt interessiert. Indira hat vielleicht die eine oder andere Freundin, die Lust hat, mitzumachen.
Und dann können Indira und ich einander nicht erreichen, um einen Termin auszumachen. Ich rufe sie an, aber sie hebt nicht ab. Sie ruft zurück, aber erreicht mich nicht. Und so geht das wochenlang, bis ich die Hoffnung auf Indira aufgegeben habe.
In der Lernbox gibt es eine junge Tschetschenin, sagt Edith. Sabine soll mit ihr reden. Und dann meldet sich die junge Frau bei mir. Und es ist Indira. Indira, die ich nicht erreicht habe, die mich nicht erreicht hat, Indira, der Stern am Himmel der unerreichbaren Grazer Tschetscheninnen.


Wo sind die Grazer Tschetscheninnen?, frage ich Indira. Sie arbeiten, sie machen Deutschkurse und Kurse beim AMS. Sie sind zu Hause mit ihren Kindern. Sie treffen sich zu Hause mit ihren Freundinnen, zum Teetrinken und Tratschen.
Sie tauchen unter, ziehen um, ziehen sich zurück, sind unter sich.

Durch meinen Weg tschetschenischer Bekanntschaften zieht sich eine Schneise. Eine Schneise des Auftauchens und plötzlichen Verschwindens.
Immer noch habe ich Lolas Texte bei mir, in einer Schreibtischlade, ganz unten irgendwo. Ich hatte angefangen sie zu übersetzen, kurz bevor Lola nach Wien gezogen ist. Und dann war Lola weg und der Kontakt abgebrochen.

An einem Samstagvormittag im Juni ruft Lola mich an. Nach drei, vier Jahren Spurenlosigkeit. Sie möchte weiterschreiben. Ob das denn ginge, bei einem Projekt in Graz. Ich rufe zurück, sage ich und nachdem ich herumtelefoniert und abgeklärt habe, rufe ich Lola zurück. Und werde immer mit der Mobilbox verbunden. Sie sind verbunden mit der Mobilbox von 06764832436.

Habe ich Lolas richtige Nummer?

0676598
067638472
067648863
36497
25864
2346972185675679325794658136798549613467/895631569743

Zwei Wochen lang nur die Mobilbox, jeden Tag, egal um welche Uhrzeit. Da läuft definitiv etwas falsch. Außerdem ist Lola keine Tschetschenin, sondern Inguschin und zählt das überhaupt? Im Notfall ja.
Chaos in meinen Aufzeichnungen: Salami und Queen. Was haben Wurst und England mit Tschetscheninnen zu tun? Nichts. Nein. Es geht um die Banalitäten des Alltags: Während ich mit Indira beim Bäcker über Kasachstan, Aserbaidschan, Dagestan spreche, bestellt eine Dame an der Theke etwas mit Salami und aus den Boxen kommt „Killer Queen“ von „Queen“.
She keeps Moet et Chandon
In a pretty cabinet
'Let them eat cake' she says
Just like Marie-Antoinette
A built-in remedy
For Khrushchev and Kennedy
At anytime an invitation
You can't decline

Caviar and cigarettes
Well versed in etiquette
Extraordinarily nice


Wo sind die Grazer Tschetscheninnen? Indira geht mit ihren Freundinnen zu Sorger in der Sporgasse. Sie sitzt im ersten Stock an der Glasfront und beobachtet die Leute, die die Sporgasse hinauf und hinunter gehen, unerlaubterweise fahren. Sie liebt Wienerschnitzel. Sie geht ins Tribek, dort trinkt sie Tee.
Warum habe ich sie dort noch nie getroffen?
Wo sind ihre Freundinnen? Sie arbeiten, sie haben Kinder, sie haben keine Zeit.
In den Kursen sind keine Tschetscheninnen, sagt Indira. Woran liegt das? Weiß man nicht. Es gibt weniger Plätze, weniger Tschetscheninnen, die Deutsch lernen wollen, sollen, müssen. Vielleicht. Vielleicht ist die Welle von frisch eingewanderten Tschetscheninnen abgeflaut.
Vielleicht haben junge Tschetscheninnen andere Sorgen als Texte über ihre Sorgen zu schreiben, in einer Zeit, die sie nicht haben, mit einer jungen tschechisch-österreichischen Grazerin, die sie nicht kennen.
Indira geht gerne zur Mur, dort sitzt sie auf einem Stein. Dort denkt sie nach. Über ihr Leben, die Arbeit, ihre Familie, ihre Ausbildung. Indira lebt mit ihrer Mutter und ihren beiden Brüdern zusammen. Sie kümmert sich um Haushalt und Alltagsbürokratie. Sie ist dreiundzwanzig Jahre alt und ihre Mama hat kranke Beine.
Sie sitzt auf dem Stein unter der Brücke, auf deren Pfeiler das Wort „Demut“ gesprayt wurde und Indira fragt mich, was das Wort bedeutet und dann reden wir darüber, wie es dahingekommen ist, das Wort, an diese Stelle. An dieser Stelle, an der ich auch oft bin, an der ich Indira noch nie getroffen habe.
Ein anderes Mal besuche ich Indira zu Hause. Wir trinken Tee und essen Schokolade. Wir reden über den Alltag, über das Leben. Über die Wohnungssuche und Behördenwege, über Lola, deren Tochter mit einer Freundin von Indira befreundet ist und dass man so vielleicht Lolas Nummer wiederherstellen, wiederfinden könnte für mich. Vielleicht.
Vielleicht hätte ich weitergraben müssen, in den Listen, die ich von Peter mitgenommen habe.
Vielleicht muss man tiefer, länger, öfter graben, um fündig zu werden. Oder Glück haben....




[Kolumne/katerina cerna/18.07.2014]





    Kolumne/katerina cerna


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